Polyneuropathie: Symptome, Ursachen, Behandlung

Last Updated on: 25th September 2019, 11:00 am

Polyneuropathie
Polyneuropathie ist eine Erkrankung mehrerer Nerven. Foto: Adobe Stock, (c) Giovanni Cancemi

Funktionieren gleichzeitig mehrere periphere Nerven nicht richtig, liegt eine Polyneuropathie vor. Daran schuld ist oft ein Diabetes oder Alkoholmissbrauch. Die Ursachen einer Polyneuropathie sind vielfältig, die Behandlungsmethoden auch, die Heilungsaussichten begrenzt.

Was ist eine Polyneuropathie?

Im Wort Polyneuropathie stecken drei griechische Begriffe: poly für viel, neuron für Nerv und pathos für Leiden. Damit ist klar, dass es sich dabei um eine Erkrankung von mehreren Nerven handelt. Doch befallen Polyneuropathien nur die peripheren, d. h. außerhalb von Gehirn und Rückenmark liegenden Nerven. Diese bestehen aus motorischen, sensiblen und vegetativen Nervenfasern. Somit dienen sie der Wahrnehmung von Empfindungen wie z. B. Berührungsreizen, Wärme, Kälte und Schmerz sowie der Steuerung der Muskeltätigkeit und Organfunktionen.

Das periphere Nervensystem (PNS) verbindet das zentrale Nervensystem (ZNS, d. h. Gehirn und Rückenmark) mit den Muskeln, Sehnen, Gelenken, Knochen und inneren Organen. Bei einer Polyneuropathie funktioniert die Reizweiterleitung zwischen PNS und ZNS nur noch eingeschränkt. Je nachdem, welche Nervenfunktionen in besonderem Ausmaß verlorengegangen sind, spricht man von sensiblen, motorischen, gemischt sensomotorischen und vegetativen Polyneuropathien.

Wie zeigt sich eine Polyneuropathie? Symptome

Es beginnt üblicherweise mit einer Beeinträchtigung der sensiblen Nervenanteile. Also mit Missempfindungen (Parästhesien) wie Kribbeln, Prickeln, Ameisenlaufen, Taubheits-, Pelzigkeits-, Schwellungs- oder Druckgefühl (“wie im Schraubstock“). Häufig symmetrisch und oft sockenförmig an den Füßen und Unterschenkeln bzw. handschuhförmig an den Händen und Unterarmen, mit Ausbreitung in Richtung Körperzentrum. Seltener befallen die Beschwerden andere Körperteile wie Kopf oder Rumpf. Oder sie nehmen von den Schultern bzw. Hüften ihren Ausgang und greifen auf die Hände bzw. Füße über.

Später treten – gelegentlich von Muskelkrämpfen begleitete – brennende, schneidende, stechende oder kribbelnde Schmerzen auf. Sie können auch als Folge von Irritationen motorischer Nervenfasern, Muskelkrämpfen und Muskelzuckungen (Faszikulationen) auftreten. Und zu Schlafstörungen und Depressionen führen.

Dann nehmen Berührungs– und Temperaturempfinden sowie Tiefensensibilität (Wahrnehmung von Lage, Bewegung und Stellung der Glieder im Raum sowie Vibrationen) ab, sodass schließlich z. B. selbst starke Hitze und Kälte nicht mehr gespürt werden. Dadurch kommt es häufiger zu Verletzungen, die – vor allem im Bereich der Füße – oft erst spät erkannt werden. Herabgesetztes Berührungsempfinden der Füße und eingeschränkte Tiefensensibilität sind häufig mit in der Dunkelheit auftretendem Schwindel verbunden.

Meistens erst in fortgeschrittenem Stadium der Erkrankung kommt es zu Schädigungen der motorischen Nervenfasern, was sich in Form von Muskellähmungen und Muskelschwund bemerkbar macht. Sind davon die Füße betroffen, führt das zu einer Gangunsicherheit und somit erhöhten Sturzgefahr.

Auch Störungen des vegetativen (autonomen) Nervensystems, das unter anderem die Organfunktionen, Weite von Blutgefäßen und Schweißproduktion reguliert, entwickeln sich meist erst in einem späten Stadium. Mit Folgen wie etwa

  • Schwindel, Kollapsneigung bei Lageänderung wie z. B. beim Aufstehen aus dem Bett
  • Verdauungsprobleme, z. B. Durchfall, Verstopfung
  • gestörte Schweißbildung
  • Pupillenstörungen
  • Hautprobleme, z. B. blaurote Verfärbung, Schwellungen, Geschwüre
  • Knochenschäden
  • Kreislauf- und Herzrhythmusstörungen
  • Harnentleerungs- oder Potenzstörungen

Auch Schädigungen der Hirnnerven können vorkommen. Sie rufen Symptome hervor wie

  • eine meist einseitige Gesichtslähmung (Facialisparese),
  • Einschränkungen der Augenmuskelbewegungen, was z. B. Doppelbilder erzeugt
  • Schwerhörigkeit
  • Schwindel
  • Schluckstörungen
Schwindel ist ein häufiges Symptom einer Polyneuropathie. Foto: Adobe Stock, (c) 9nong

Wie verläuft eine Polyneuropathie?

Polyneuropathien können – je nachdem, welche Erkrankung ihnen zugrunde liegt und wie gut diese behandelbar ist – sehr unterschiedliche Verläufe nehmen. Sie können

  • schleichend beginnen, wie z. B. die diabetische Polyneuropathie
  • sich innerhalb von Tagen oder Wochen entwickeln, z. B. beim Guillain-Barré-Syndrom
  • zum Stillstand kommen, z. B. bei Vermeidung neurotoxischer Substanzen wie Alkohol
  • sich teilweise zurückbilden, z. B. nach manchen Chemotherapien
  • sich zunehmend verschlechtern, z. B. bei anhaltendem Alkoholmissbrauch

Ist Polyneuropathie heilbar?

Grundsätzlich gilt: Je früher die Nervenschädigung erkannt und behandelt wird, desto besser ist ihre Prognose. So ließen sich bestimmte Formen der Polyneuropathie heilen, würden sie rechtzeitig diagnostiziert und adäquat therapiert.

Da Polyneuropathien aber oft lange Zeit symptomlos verlaufen bzw. erste leichte Beschwerden nicht ernst genommen werden, erfolgt der Gang zum Arzt häufig erst in einem späten Stadium der Erkrankung. Das mindert die Heilungschancen.

Auch hängt es von der Ursache der jeweiligen Polyneuropathie ab, ob sie jemals wieder verschwindet. Liegt ihr eine chronische bzw. schwer bis nicht behandelbare Erkrankung zugrunde, ist eine Heilung seht unwahrscheinlich.

Was löst eine Polyneuropathie aus? Ursachen

Eine Polyneuropathie kann sehr viele verschiedene Ursachen haben. Hierzulande ist sie meistens die Folge eines Diabetes mellitus (diabetische Polyneuropathie), wobei die Intensität der Nervenschädigung von Alter, Erkrankungsdauer und Blutzuckereinstellung abhängt. Oder es steckt ein Alkoholmissbrauch dahinter (Alkoholpolyneuropathie). Weiters kommen als Auslöser infrage:

  • neurotoxische Medikamente (z. B. bestimmte Chemotherapeutika, Antibiotika, Beruhigungsmittel), Schwermetalle (z. B. Arsen, Blei) oder Substanzen (z. B. organische Phosphorverbindungen)
  • Vitaminmangelzustände, z. B. ein Vitamin B1- oder B12-Defizit
  • Infektionen, z.B. AIDS, Borreliose, Typhus, Diphtherie, Syphilis
  • Hormon– und Stoffwechselstörungen (metabolische Polyneuropathie), z. B. Schilddrüsenunterfunktion
  • Leberleiden
  • eine Nierenschwäche
  • chronisch entzündliche Darmerkrankungen, z.B. Morbus Crohn, Colitis ulcerosa
  • Gefäßleiden, z. B. ischämische Neuropathie bei pAVK
  • Bindegewebserkrankungen, z.B. Kollagenosen
  • Autoimmunkrankheiten, z.B. Guillain-Barré-Syndrom
  • Krebsleiden, z.B. Leukämie, Eierstock-, Brust- oder Lungenkarzinom
  • Erbkrankheiten (z. B. Morbus Charcot-Marie-Tooth) oder schwere Erkrankungen (Critical-illness-Polyneuropathie)
  • Umwelteinflüsse, z. B. Vibrationen, Kälte

Allerdings lässt sich die Ursache oft nicht feststellen. Dann spricht man von einer idiopathischen Polyneuropathie.

Wie erkennt man eine Polyneuropathie? Diagnose

Zur Erkennung einer Polyneuropathie führt der Arzt zunächst eine sorgfältige Anamnese (Erhebung der Krankengeschichte) durch, bei der ihn insbesondere Vorerkrankungen wie z. B. Diabetes und Infektionen, Art der Gefühlsstörungen, motorische Ausfälle und Schmerzen sowie ein etwaiger Medikamenten- und Alkoholkonsum, aber auch Auslandsaufenthalte und eventuelle Kontakte mit neurotoxischen Substanzen interessieren.

Die anschließende körperliche Untersuchung enthält auch eine genaue Begutachtung der Füße, weil Polyneuropathien gerne von dort ausgehen.

Es folgt eine ausführliche neurologische Untersuchung beim Neurologen. Mit Prüfung der

  • Muskelkraft durch Anspannung bestimmter Muskelgruppen gegen den Widerstand des Untersuchers, was bei einer Muskelschwäche/Lähmung nicht ausreichend gelingt.
  • Standfestigkeit, des Gangbildes und gezielter Bewegungen bei geschlossenen Augen.
  • Oberflächen- und Tiefensensibilität durch Berühren der Haut mit einem spitzen, einem stumpfen, einem kalten und einem warmen Gegenstand sowie einer schwingenden Stimmgabel.
  • Reflexe mittels Reflexhammer, der vorsichtig gegen bestimmte Muskelsehnen geschlagen wird. Sie lassen sich bei Polyneuropathie nur abgeschwächt bzw. gar nicht auslösen.

Neurophysiologische Untersuchungen wie die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) und Muskelspannung (EMG, Elektromyographie) mittels am Körper aufgesetzten Elektroden können Hinweise auf die Schwere der Nervenschädigung bzw. mögliche Ursachen liefern.

Sinnvoll sind zudem Blutuntersuchungen wie etwa die Bestimmung von Nüchtern- und Langzeitblutzuckerwert, Elektrolyten, Blutbild, Entzündungsparametern sowie Nieren- und Leberfunktionswerten. Wenn nötig, auch Harntests sowie weitere Untersuchungen wie z. B. bestimmte Blutdruck- oder Herzfrequenzmessungen, eine Biopsie (Entnahme von Gewebeproben zur mikroskopischen Untersuchung) von Nerven- oder Hautgewebe oder auch eine Liquorpunktion (Entnahme von Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit mit einer Hohlnadel aus dem Rückenmarkskanal).

Bei der neurologischen Untersuchung testet der Neurologe die Reflexe mit einem Reflexhammer. Foto: Adobe Stock, (c) Elnur

Was kann man gegen eine Polyneuropathie tun? Behandlung

Symptome einer Polyneuropathie sind für ihre Träger oft sehr belastend. Wird die Ursache der Erkrankung aber erkannt, kann ihr Fortschreiten in vielen Fällen verlangsamt, manchmal sogar verhindert werden. Daher ist es wichtig, so bald wie möglich ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn typische Beschwerden auftreten.

Liegt der Polyneuropathie eine behandelbare Erkrankung zugrunde, gilt es, diese zu beseitigen (z. B. Alkoholverzicht bei Alkoholmissbrauch) oder wenigstens zu bessern (z. B. gute Blutzuckereinstellung bei Diabetes). Ist das nicht möglich oder hat lässt sich kein Auslöser für die Polyneuropathie finden, kann man nur die Symptome lindern. Etwa in Form einer

  • Schmerztherapie, die sich oft schwierig gestaltet und individuell auf die gesundheitliche Situation abzustimmen ist.
  • Physio– und Sporttherapie, um motorische Ausfälle zu kompensieren und die Muskelkraft zu steigern sowie Haltungsschäden zu verhindern.
  • Ergotherapie, um fehlerhafte Bewegungsabläufe zu vermeiden und – z. B. bei Störungen der Feinmotorik in den Händen – Alltagshandlungen zu erleichtern.
  • Bekämpfung von Sensibilitätsstörungen mittels Sensibilitätstraining, Zellenbädern und Mesh-Glove-Anwendungen (elektrische Stimulation somatosensorischer Hirnareale via Handschuh)

Bei Muskellähmungen erleichtern unterstützende Orthesen (Schienen), Muskelstimulatoren und Gehhilfen das Leben.

Um das Risiko einer Entstehung von Fußgeschwüren hintanzuhalten, ist eine regelmäßige Fußpflege und Kontrolle der Füße auf Wunden angesagt.

Als hilfreich erweist sich zudem eine Psychotherapie oder psychologische Behandlung, um mit der belastenden Erkrankung besser zurechtzukommen.

Schwierig: Schmerztherapie bei Polyneuropathie

Die medikamentöse Schmerzbehandlung kann zwar häufig eine Linderung der Schmerzen, jedoch nicht ihr Verschwinden bewirken. Als machbar bzw. realistisch gelten Therapieziele wie eine

  • Schmerzabschwächung um bis zu 50 Prozent
  • Verbesserung der Schlaf- und Lebensqualität
  • Erhaltung der sozialen Einbettung und Arbeitsfähigkeit.

Erreicht werden diese Ziele mit

  • Antikonvulsiva (Antiepileptika, Anti-Krampfmittel),weil sie die Erregbarkeit von Nerven dämpfen.
  • Antidepressiva, weil sie die Schmerzweiterleitung im Rückenmark unterdrücken.
  • äußerlich angewendeten Lokalanästhetika (örtliche Betäubungsmittel) oder Capsaicin (Inhaltsstoff z .B. von rotem Pfeffer)
  • Opioiden oder Opiaten bei ausgeprägten Schmerzen, aufgrund der Gewöhnungsgefahr unter strenger ärztlicher Kontrolle

Wobei sich erst nach mindestens zwei- bis vierwöchiger Anwendung herausstellt, ob ein Schmerzmittel zufriedenstellend wirkt.

Auch Physio- und Ergotherapie, Akupunktur und Fußreflexzonenmassage tragen zur Schmerzlinderung bei. Ebenso die transkutane elektrische Nervenstimulation, bei der der Patient ein kleines elektrisches Gerät an sich trägt, das bei Bedarf über Elektroden an der schmerzenden Stelle elektrische Impulse abgibt. Sie blockieren die Schmerzweiterleitung und führen zur Ausschüttung körpereigener Endorphine, die Schmerzen dämpfen.

Kann man einer Polyneuropathie vorbeugen?

Bis zu einem gewissen Grad ja. Etwa durch gesunde Lebensführung mit ausgewogener Ernährung. Denn das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich gewisse chronische Krankheiten wie z. B. Diabetes, die häufig mit einer Polyneuropathie verbunden sind, nicht einstellen. Sinnvoll ist auch der Verzicht auf Alkohol und nervenschädigende Medikamente.

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